
Walsroder Zeitung vom 13.01.2014: "Verkorkste halbstaatliche Planwirtschaft"
Neujahrsempfang in Bomlitz: Bürgermeister Lebid kritisiert "bürokratisches Gestrüpp" im Gesundheitswesen
Wohin steuert der ländliche Raum? Vor allem die Themen finanzielle Ausstattung der Kommunen, Wirtschaftsförderung, aber auch die Versorgung im Gesundheitsbereich stellte Bürgermeister Michael Lebid gestern beim Neujahrsempfang der Gemeinde Bomlitz zur Diskussion. Zahlreiche Gäste aus Wirtschaft, Politik, Vereinen und Organisationen nutzten die Gelegenheit, sich bei der Zusammenkunft auszutauschen. Lebid und der Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil hoben außerdem die Bedeutung Europas hervor. Beide appellierten an die Menschen, sich an den Europa-Wahlen am 25. Mai zu beteiligen.
Beim Blick auf die Themenschwerpunkte der Zukunft zeigte sich Lebid vor allem in Sachen Gesundheitsversorgung emotional und kritisch. Bomlitz muss nämlich genauso wie benachbarte Gemeinden Engpässe verkraften: Gleich zwei Ärzte stehen vor dem Ruhestand, Nachfolger sind nicht in Sicht.
Verantwortlich dafür sei „ein kompliziertes Dickicht verkorkster halbstaatlicher Planwirtschaft“, nahm Lebid kein Blatt vor den Mund. Es liege an einem „bürokratischen Gestrüpp aus Lobbyisten, Punktwerten, Arzneimittelbudgets, Patientenbegrenzungen und mehr“, dass es nicht gelinge, Landarztpraxen zu besetzen.
Den ernsthaften Willen, das Problem zu lösen, könne er bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) nicht erkennen. Dabei helfe der Hinweis auf eine „durchschnittliche Ärzteversorgung“, die auch im Raum Bomlitz „in Ordnung“ sei, wenig. „Das ist wie mit der durchschnittlichen Temperatur in der Wüste Gobi“, nannte Lebid ein Beispiel für irreführende Rechenkunst. „Die beträgt 15 Grad. Aber da fühlen sich Menschen nur morgens und abends jeweils eine halbe Stunde wohl – in der restlichen Zeit herrscht eisige Kälte oder unerträgliche Hitze.“ Werde das Prinzip weiter verfolgt, dann „bleiben Alte und chronisch Kranke auf der Strecke.“
Kritik schickte Lebid beim Thema Finanzen in Richtung Hannover und Berlin: „In den Kommunen spielt zwar das Leben, aber sie werden von der Bundes- und Landespolitik doch eher stiefmütterlich behandelt.“ Es stehe in den Sternen, ob „die neuen Regierungen hier neue Zeichen setzen und sich an eine grundlegende Reform der Kommunalfinanzen wagen.“
Bomlitz selbst könne zwar von der guten Konjunktur profitieren. Auch die Senkung der Kreisumlage und der Einstieg des Heidekreises in die Mitfinanzierung der Kindertagesstätten sei hilfreich. Doch die Industrie-Gemeinde müsse gleichzeitig drastische Einschränkungen bei Gewerbesteuer-Einnahmen verkraften. Die Gemeinde kassiere heute nur noch halb so viel wie vor einigen Jahren, sie müsse zudem nach Einführung der doppischen Haushaltsführung 800.000 EUR an Abschreibungen erwirtschaften. Da seien „auch 2014 keine großen Sprünge möglich.“ Immerhin: Noch bleiben die freiwilligen Leistungen weitgehend verschont.
Schwerpunktthemen müssen jetzt Wirtschaftsförderung, Bildung, Familienfreundlichkeit und Generationengerechtigkeit sein, so Lebid in einem Ausblick. Und: Ungeachtet der „Eurokrise“, die längst noch nicht bewältigt sei, wachse die Bedeutung Europas. Nicht nur Land und Kommune, auch die Unternehmen seien auf den Austausch mit anderen Ländern angewiesen. Lebid und Gastredner Lars Klingbeil MdB appellierten eindringlich an die Bevölkerung, an den Europawahlen 2014 teilzunehmen. „Wir brauchen als Deutschland eine starke Beteiligung in Brüssel“, sagte Klingbeil.